Als einzige der vielen im Revolutionsjahr gegründeten Bürgerwehren haben die Königsberger diese Tradition bis in unsere Tage bewahrt. Alle anderen heute noch existierenden Bürgerwehren verdanken ihre Entstehung kommunaler oder landesherrlicher Gesetzgebung. Die Einrichtung dieser Bürger- und Landwehren geschah also immer auf Befehl von oben – oft auch gegen den Widerstand der Bürger.
Ganz anders verlief die Gründung der Königsberger Bürgerwehr. Von den Bürgern ins Leben gerufen, wurde ein Hauptmann gewählt, die Zugehörigkeit war freiwillig, die Offiziere wurden von den Wehrmännern durch Wahl bestimmt. Diese urdemokratischen Werte wurden bis auf den heutigen Tag erhalten: Der Hauptmann wird in einer offiziellen Bürgerversammlung unter Leitung des amtierenden Bürgermeisters gewählt, die Bürger nehmen freiwillig an den Auszügen teil und diese Wehrmänner wählen auch die weiteren Offiziere des Kommandos. Im Laufe ihrer Geschichte wurde die Bürgerwehr von neun Hauptmännern geführt. Der zur Zeit amtierende Hauptmann Manfred Barfuß wurde im Jahre 2006 gewählt.
Ein Blick in die Geschichte:
Durch die Französische Revolution von 1789 stieg auch im deutschen Volk das Begehren nach mehr Freiheit im absolutistischen System. Allerdings konnte sich die königliche und fürstliche Macht mit dem Wiener Kongress im Jahre 1815 restaurieren. Jedoch ließ sich der Wunsch nach Freiheit und mehr Rechten nicht einfach unterbinden.
Jenaer Studenten regten 1817 zur Erinnerung an die Völkerschlacht ein Treffen an, das als Wartburgfest in die Geschichte eingeht. Es ist die erste öffentliche politische Demonstration für Freiheit, Bürgerrecht und Nationalstaat. Die Herrscher des Deutschen Reiches reagierten heftig: Bücher wurden verbrannt, die wenigen Rechte noch eingeschränkt. Und nach der Ermordung des Publizisten Kotzebue durch den Burschenschaftler Karl Sand wurden mit den Karlsbader Beschlüssen weitere Beschränkungen verordnet.
Doch das einmal gewonnen geistige Gut ließ sich nicht mehr so leicht unterdrücken, im Geheimen wurden die Gedanken weitergetragen und gepflegt. Die Julirevolution in Frankreich 1830 strahlte wiederum nach Deutschland aus. Mit dem Hambacher Fest 1832, zu dem 30.000 Teilnehmer zusammenströmten, erreichte der Ruf des Volkes nach Souveränität und der Einheit Deutschlands einen weiteren Höhepunkt. Erstmals werden die Farben Schwarz-Rot-Gold in der heutigen Form öffentlich gezeigt: die »deutsche Trikolore«. Die Symbolik dieser drei Farben wird so gedeutet:
Schwarz: heraus aus dem Dunkel der alten Herrschaft;
Rot: über das rote Blut des Kampfes;
Gold: zu den goldenen Zeiten einer besseren Zukunft
Erneut reagierte der Deutsche Bund, ein loser Zusammenschluss deutscher Staaten, mit weiteren Repressalien, unter anderem Aufhebung der Pressefreiheit, Versammlungsverbot und Verbot der Farben Schwarz-Rot-Gold. Doch die Revolution war nicht mehr aufzuhalten.
Wiederum war Frankreich mit der Februarrevolution 1848 der Auslöser: Schon im März des gleichen Jahres erhob sich das deutsche Volk, um gegen geistige und materielle Unterdrückung zu kämpfen und ein einiges Deutschland zu schaffen. Im ganzen Land bildeten sich Bürgerwehren, um notfalls mit Waffengewalt die Ziele durchzusetzen. Auch die Königsberger wollten mehr Rechte und Freiheiten. Der Wirt des »Goldenen Stern« am Marktplatz lässt die schwarz-rot-goldenen Farben aufziehen, patriotische Reden werden gehalten; die Königsberger werden zu Revolutionären. Ein reger Schriftwechsel mit dem Landesherrn, Herzog Ernst II., entsteht. Die Bürger bitten um Verbesserungen für ihre Stadt und ihre persönlichen Lebensumstände und verweisen auf die Forderungen des deutschen Volkes, die in den Offenburger Erklärungen dargelegt sind. Zur Untermauerung der Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen, aber auch zum Schutz von Stadt und Eigentum, wird die Bürgerwehr gegründet. Die Frauen und Jungfrauen von Königsberg stiften die schwarz-rot-goldene Fahne, die bei der Parade am 22. Oktober 1848 feierlich geweiht wird. Waffen werden aus Coburg gekauft, man exerziert und übt, muss aber – Gott sei Dank – keinen einzigen Schuss abgeben.
Aus jener Zeit stammen die heute noch gebräuchlichen Regeln, die Kommandos, die Art der Ausrüstung. Einzig der Hauptmann der Bürgerwehr trägt eine Uniform, den sogenannten »Brandenburger Rock« und die Uniformhose. Was die übrigen Kommandomitglieder tragen, das war früher der Sonntagsanzug der Bürger: ein schwarzer Gehrock. Erst durch das Tragen von Heckerhut (benannt nach dem badischen Revolutionär Hecker) und Zylinder mit Buschen und Kokarden, durch Säbel, Trommel und Gewehr, wird aus dem Bürger der Offizier der Bürgerwehr.
Bei Auszug voran ziehen die sogenannten »Sappeure« (Pioniere) mit Lederschürze und Beil, danach der Tambourmajor mit seinen Tambouren (Trommlern), dann der Hauptmann mit Oberleutnant und Leutnants, die »Furiere« (Offiziere für Organisation und Finanzen) und der »Feldscher« (Arzt); zum Schluss der Fahnenjunker mit den Fahnenbegleitern. So marschiert das Kommando bei den Auszügen auf. Bei Festumzügen wird diese Formation noch durch eine Salutkanone mit Geschützführer und zwei Kanonieren und durch die Fahnenkompanie ergänzt.
Die Deutsche Revolution jedoch scheiterte im Jahre 1849 endgültig. Die alten Kräfte behielten die Oberhand, weil die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche keine Kontrolle über das Militär gewinnen konnte und zerstritten war. Mit der Kapitulation der Festung Rastatt am 23. Juli 1849 versiegte der Wille zu durchgreifenden Änderungen.
Auch in Königsberg nahm das Interesse an einer allgemeinen Volksbewaffnung ab. Die Gewehre mussten auf herzoglichen Befehl 1852 wieder in Coburg abgeliefert werden. Doch die traditionsbewussten Königsberger bewahrten die Erinnerung an die Revolutionsjahre 1848/49. Die seit dem Jahr 1912 durchgeführten Auszüge der alten Bürgercompagnie an Himmelfahrt und Pfingsten verbinden sich mit der 1848er-Bürgerwehr unter der schwarz-rot-goldenen Fahne. Und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
Originaltext: Wolfgang Fischer, Königsberg